Der Zwillingssturz von Gottorf

Der Zwillingssturz von Gottorf

Im kalten Januar 1433 stürzt Agnes, Herzogin von Schleswig und Gräfin von Holstein, unglücklich die steile Treppe im Schloss Gottorf hinab.

Der Sturz der Herzogin

 

Es war ein Winter wie aus Eisen gegossen. Der Frost hatte das Land um Gottorf fest im Griff, die Schlei lag unter einer Decke aus Glas, und selbst die Krähen schwiegen. In jener Nacht des Januars 1433 hallte ein Schrei durch die Gänge des Schlosses – ein Schrei, der in die Chroniken eingehen sollte.

Man fand Agnes, Herzogin von Schleswig und Gräfin von Holstein, am Fuß der großen Wendeltreppe. Die Kerzen flackerten, als hätte der Wind selbst das Unglück herbeigerufen. Ihr rotes Kleid, zerrissen, lag wie ein Blutlaken über den kalten Stufen. Sie lebte – doch schwer gezeichnet. Und in ihrem Leib regte sich neues Leben.

Unter Schmerzen, inmitten des Tumults, brachte sie Zwillinge zur Welt: Heinrich und Katharina. Doch kaum waren die Kinder geboren, begann das Flüstern in den Korridoren.
„Zu früh“, hieß es. „Zu früh für eine Herzogin, die erst vor wenigen Monden vermählt wurde.“

 

Der Makel der Geburt

 

Ihr Gatte, Herzog Gerhard VII., und sein Bruder Adolf wussten, was auf dem Spiel stand. Ein Makel der Geburt konnte das Haus Holstein ins Verderben stürzen. In einem eiligen Ratskonvent, bei Kerzenschein und Wein, schwor Gerhard: „Ich nahm sie vor der Hochzeit – im Geheimen. Die Kinder sind rechtmäßig.“

Ärzte und Hebammen wurden befragt, die Kirchenjuristen berieten tagelang. Schließlich das Urteil: „Es sind Siebenmonatskinder, und somit rechtmäßige Erben des Hauses.“
Doch wer die Gesichter der Versammelten sah, erkannte – niemand glaubte wirklich daran.

 

Die Schatten der Macht

 

Kaum hatte sich der Skandal gelegt, begannen neue Gerüchte. Nächte lang hörte man Schritte vor den Gemächern der Kinder, und die Ammen behaupteten, eine fremde Hand habe an der Wiege gerührt. Dann, eines Morgens, waren die Betten leer.

Man sagte, die kleine Katharina sei ins Kloster gebracht worden – „zum Schutz“, wie es hieß. Dort starb sie kurz darauf an „schwacher Brust“. Der Knabe Heinrich jedoch ertrank, als er mit dem Hofnarren am See spielte. Ein Unfall, sagten die Höflinge. Doch in den Dörfern flüsterte man: „Der Narr war nur Werkzeug – der Befehl kam von oben.“

 

Die Gefangene von Holstein

 

Für Agnes endete alles in Dunkelheit. Von ihrem Bruder, Herzog Albrecht, des Ehebruchs bezichtigt, wurde sie auf eine entlegene Burg gebracht – „zu ihrem eigenen Schutz“. Jahre vergingen. Ihr Haar ergraute, ihre Stimme verklang. Kein Kind, kein Hof, kein Name mehr – nur die Erinnerung an zwei Gesichter, die sie nie vergessen konnte.

In einer Nacht, Jahrzehnte später, fand man sie tot in ihrer Kammer. Das Fenster stand offen, als hätte sie noch einmal hinausgesehen – dorthin, wo die Schlei im Mondlicht glitzerte.
Neben ihrem Lager lag ein verblichener Kinderpantoffel, sorgsam in Leinen gewickelt.

Das Geheimnis, wer der wahre Vater ihrer Zwillinge war, nahm Herzogin Agnes mit ins Grab. Doch bis heute sagt man in Schleswig:
Wenn im Winter der Wind über die Schlei zieht, hört man manchmal eine Frau weinen – und zwei Kinder leise lachen.